Nachhaltigkeit ist keine Kampfdisziplin: Entscheidung für Digital oder Print muss auf vielfältigen Ebenen fallen
Rüdiger Maas
Die enorme Diskrepanz in der Kommunikations-, Medien- und Druckindustrie zwischen kooperativ und kompetitiv, Existenz und Koexistenz ist bedauerlich. „Wir gegen die anderen“ – diese Mentalität in Verbindung mit Silodenken hemmt die gemeinschaftliche Suche nach den besten Lösungen.
Auch wenn man glauben mag, dass sich Druck und Medien als Teil der Kommunikationsindustrie verstehen sollten, ist täglich zu erleben, dass eigentlich gemeinsame Ziele von der einen oder anderen Seite torpediert werden. Doch in einer Kommunikation, die auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist, kann es nicht darum gehen, den Kampf der Medienkanäle gegeneinander zu forcieren, alles digitalisieren zu wollen oder künftig alles der Künstlichen Intelligenz zu überlassen. Es geht vielmehr darum, eine sinnvolle Strategie zu finden.
Eine neue Betrachtungsweise der Medienkanäle
Eins ist natürlich klar: Es wird alles digitalisiert, was sich digitalisieren lässt. Was aber nicht bedeutet, dass zukünftig alles digital sein muss. Wenn Marken über ihre Kommunikationsstrategie entscheiden, sollten sie nicht nur ihre Kosten, sondern auch ihre Kunden berücksichtigen. Zum Beispiel auch die Art und Weise, wie Kunden und generell Verbraucher Informationen lesen und erhalten wollen.
Eine Kampagne, die Menschen ignoriert, die keinen Zugang zu digitaler Kommunikation haben, ist nicht nur arrogant, sondern in höchstem Maße unsozial.
Deshalb bin ich davon überzeugt, dass eine neue Betrachtungsweise der Medien und Medienkanäle wichtig ist, um in und für die Zukunft die richtigen Entscheidungen zu treffen. Aber nicht im Sinne eines Wettbewerbs nach dem KO-System, sondern im Sinne eines optimalen Zusammenspiels – mit dem Ziel, dass unsere Kunden die bestmögliche Kombination nutzen können.
Um das zu entscheiden, müssen die (übergeordneten) Werte von Print und digitalen Medien neutral und emotionslos definiert werden. Vorab ist zu klären, was die Grundlagen für oder gegen eine Entscheidung für einen bestimmten Medienkanal sind:
- Welche Vor- und Nachteile haben die Mediengattungen in Bezug auf ihre ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit (ROI etc.)?
- Gibt es die Notwendigkeit für den Einsatz eines Mediums, weil beispielsweise digitale Medienkanäle nicht (mehr) funktionieren oder nur eingeschränkt (Double-opt-in/DSGVO) nutzbar sind?
- Gibt es belastbare Studien über z.B. eine veränderte Mediennutzung der Zielgruppe(n)?
- Wie wichtig ist die Geschwindigkeit der Kampagnen-Umsetzung?
- Lässt sich über das gewünschte Medium ein Image transportieren?
Sicher gibt es noch sehr viel mehr Kriterien, aber schon diese kurze Liste zeigt, wie komplex die Grundlagen der Entscheidungsfindung sind und welches immense Know-how dazu notwendig ist.
Falsch verankerte Bilder löschen
Bei vielen Entscheidern ein völlig falsch verankertes Bild von Druck und Papier vorhanden.
So glauben ca. 70 % der Befragten (CEPI, 2015), dass bei der Papierherstellung übermäßige Mengen an Wasser verbraucht werden. Das Wasser wird jedoch verwendet, es verschwindet nicht. Zwischen 90 % und 95 % des in der europäischen Papierindustrie genutzten Wassers wird nach der Verwendung und Aufbereitung (zum Teil sauberer als zuvor) der Quelle wieder zugeführt.
Ebenso falsch ist die Meinung, dass für die Herstellung von Papier Bäume gefällt werden müssen und die europäischen Wälder deshalb schrumpfen. Richtig ist, dass sich Fasern bei wiederholtem Recycling (die Recyclingquote liegt in Deutschland bei 93,5 %) mit der Zeit abnutzen, weshalb es unerlässlich ist, dass weiterhin Papiere mit Frischfaseranteil in Umlauf kommen, um den Kreislauf am Leben zu erhalten. Das dafür benötigte Holz stammt vor allem aus Sägewerksabfällen und Durchforstungsholz. Wertvolles Stammholz wird für die Möbelindustrie verwendet und wäre für die Papierproduktion viel zu teuer.
Gleiche Fehlinformationen liegen für das Thema CO2-Emissionen vor. So liegt der Fußabdruck der gesamten Druckindustrie in Deutschland (Berechnungsbasis Umweltbundesamt) bei weniger als 1 % der Gesamtemissionen. Dagegen beansprucht unser digitaler Lebensstil von den etwa 10,8 t CO2-Emissionen pro Kopf etwa 8,0 % – wenn nicht sogar mehr.
Print ist das einzige multisensorische Medium
Hinzu kommt, dass Print das einzige multisensorische Medium ist und somit der menschlichen Informationsbeschaffung am nächsten kommt. Mit Print können Informationen sprichwörtlich erlebt werden, angefangen vom Begreifen (im wahrsten Sinne des Wortes) bis hin zur haptischen Interaktion in Verbindung mit den impliziten Informationen, die automatische bei der Nutzung von Print übertragen werden.
Bei genauer Betrachtung bietet Print unter der Headline „Value added Printing“ folgende strategischen Bausteine:
- Interactive Print: Das sind alle Funktionalitäten, die Print zur Steigerung und Förderung der persönlichen Interaktion mitbringt. Dazu gehören Falztechniken, Öffnungstechniken, natürlich das Umblättern sowie Medienbrücken in Form von QR-Codes oder die vielfältigen Möglichkeiten der Augmented Reality.
- Experience Print: In diesem Segment werden alle Maßnahmen der klassischen Druckveredelung aktiv. Die sorgen für eine hohe Awareness, wenn nicht gar für Begeisterung. Die Druckveredelungen laden förmlich ein, das Printprodukt zu erleben, nicht nur explizit, sondern auch implizit.
- Emotional Print: Die Mentalität „Ich, hier, immer und sofort“ sorgt dafür, dass persönliche Ansprachen und individueller Kontent immer mehr Zuspruch finden. Es liegt in der Natur der Menschen, dass die Ansprache über den eigenen Namen sehr emotional ist und somit Bindung schafft.
Aber Emotional Print geht weit über die persönliche Ansprache hinaus und kann im Rahmen von Programmatic Print automatisiert werden. Durch individuellen Kontent, der aus Nutzerprofilen kommt, ist es möglich die Relevanz der kommunizierten Botschaft zielgenau auszuspielen und somit für ein Höchstmaß an Emotionalität zu sorgen. - Surpice Print: sorgt tatsächlich für Überraschung. Ziel ist es, die Erwartungshaltung eines Rezipienten mehr als zu erfüllen. Überraschungen sorgen für immense Aufmerksamkeit und Erinnerung. Beispiele sind leuchtende Druckprodukte mit Elektrolumineszenz, Pop-ups usw.
Nachhaltig beeindruckende Multichannel-Kampagnen
Die Aufgabe zukünftiger Kampagnen muss also sein, auf Basis hoher Medienkompetenz Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, die die Kunden inspirieren und connecten – also durch Interaktion auch mit anderen Medienkanälen verbinden, damit sie aktiviert werden und sich tiefer mit der Materie beschäftigen. Und dabei ist Nachhaltigkeit keine Kampfdisziplin, sondern das logische und sinnvolle Fundament für abgewogenes Handeln.
Die Fragen bei der Konzeption einer Kommunikationsstrategie oder einer Kampagne dürfen also nicht lauten… Was spricht für Digital? Oder: Was spricht gegen Print? Sondern: Wie können wir sinnvoll – im Sinne des Erfolges unserer Kunden – kanalübergreifende echte Multichannel-Kommunikation organisieren?