Des Kaisers neue KI – Künstliche Intelligenz im Marketing: Hype, Fails und sinnvolle Use Cases
Sven Henckel

KI ist längst allgegenwärtig – von Social Media bis Webshops. Große und kleine Software-Hersteller setzen überall auf KI-Funktionen, doch viele Tech-Konzerne suchen verzweifelt nach echten Use-Cases. Trotz der Begeisterung gibt es zunehmend Kritik und dieser Beitrag versucht, den „State of the Art“ zu identifizieren.
KI und ihre Grenzen: Fails und typische Kritik
Das Internet ist voll von KI-Fails: Menschen mit zu vielen Gliedmaßen, albtraumhafte Bildlandschaften und Suchmaschinen, die Pizza mit Klebstoff empfehlen oder erklären, dass der Erfinder des „Backflips“, John Backflip, im Jahr 1316 verbannt wurde, weil er von seinem Rivalen William Frontflip der Hexerei bezichtigt wurde. Diese Fehler sind häufig sehr amüsant, werfen aber die Frage auf, ob die KI-Produkte überhaupt getestet wurden, bevor sie live gingen. Klar ist: Vieles davon wird sich durch Weiterentwicklungen erledigen. Das Problem der Gliedmaßen ist mittlerweile weniger präsent, und Unternehmen setzen alles daran, die Imageschäden durch „Fails“ zu minimieren. KI aufgrund dieser Art von Problemen als sinnlos abzutun, ist daher oberflächlich und falsch.
Sinnvolle Use Cases für KI im Marketing
KI bietet sinnvolle Einsatzmöglichkeiten, nicht nur in der Medizin oder Versicherungsbranche, sondern auch im Marketing. Natural Language Generation (NLG) automatisiert die Texterstellung aus technischen Daten, wie Produktbeschreibungen und Kampagnentexten, oft mehrsprachig und schnell.
Im Bereich Produktdatenqualität hilft KI bei der Kategorisierung von Produkten, dem Taggen von Bildern und der Textextraktion aus gesprochener Sprache. Auch die Qualität von Texten oder das Einkürzen von Inhalten wird überprüft – wobei die KI bei Letzterem oft nicht den gewünschten Mehrwert liefert.
Personalisierung ist ein weiteres großes Thema. KI wird zur Produktempfehlung, zur Erkennung von Vorlieben und zum Erkennen von Trends aus großen Datenmengen eingesetzt. Sie verbessert auch die Suche nach Produkten, indem sie ähnliche Formulierungen berücksichtigt.
Erwartungen und Realität
Leider werden durch den ständigen Hype und die Geheimnistuerei unrealistische Erwartungshaltungen geweckt. In Wahrheit ist keines der KI-Produkte auf dem Markt intelligent im Sinne menschlicher Intelligenz. Es gibt (noch) keine starke KI (Künstliche Allgemeine Intelligenz), und es gibt derzeit auch nichts, das in die Nähe „echter“ Intelligenz kommt. Das geht schon damit los, dass Uneinigkeit herrscht, was Intelligenz überhaupt ist. Wenn jemand behauptet, seine KI-Modelle stünden kurz vor dem Übergang zu starker KI, sammelt diese Person in der Regel gerade Gelder für die nächste Finanzierungsrunde oder den Börsengang.
In der Praxis reden wir von Generativer KI, Machine Learning / Deep Learning und Computer Vision. Diese Technologien ermöglichen es, Muster in großen Datenmengen zu erkennen und daraus Vorhersagen zu treffen. Nichts davon klingt nach selbstständigem Denken oder Intelligenz – und genau das ist der Punkt.
Ist ChatGPT Bullshit?
Ein gutes Beispiel für falsche Vorstellungen über KI ist die Funktionsweise von Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT. Diese Modelle besitzen weder Wissen noch Verständnis. Sie generieren lediglich statistische Wortketten. GPT nutzt den Prompt, um einen Startpunkt festzulegen, und reihen dann die Wörter aneinander, die statistisch am wahrscheinlichsten sind. Landet man in einem Bereich, in dem das Modell gut trainiert wurde, ergibt das oft Sinn. Landet man in einem weniger gut trainierten Bereich, ist das Ergebnis schlichtweg Bullshit im Sinne von Harry Frankfurt (vgl. „ChatGPT is bullshit“).
Das zeigt sich auch bei Textkürzungen und inhaltlichen Prüfungen. LLMs können kürzen, aber sie verzerren oft den Sinn, lassen Schlüsselpassagen weg und betonen unwichtige Nebensachen. Ein weiteres Problem ist, dass die KI-Modelle Mathematik sind – keine Zauberei. Sie lernen von den Daten, mit denen sie gefüttert werden. Werden diese Daten von Menschen erzeugt, die nach simplen Algorithmen vorgehen, wird die KI dieses Verhalten übernehmen. Wenn die Daten beispielsweise eine Präferenz für bestimmte Bewerbergruppen widerspiegeln, wird die KI diese Vorlieben nachahmen und sogar verstärken.

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Die Sache mit den Daten
Ohne Daten geht es nicht, aber mehr Daten machen es nicht unbedingt besser. Daten können Verzerrungen (Bias) enthalten, die sich in den KI-Modellen wiederfinden. Auch das Verständnis, was mit diesen Daten gemacht wird, ist oft begrenzt. Der Handel in Deutschland zum Beispiel sammelt riesige Mengen an Daten, nutzt sie jedoch nur begrenzt für die Personalisierung von Werbung. Im EHI-Marketingmonitor Handel 2023–2026 wird deutlich, dass 29 % des Handels schlecht oder gar nicht personalisieren, 24 % einfache Segmentierungen und 47 % keine 1:1-Ansprache versuchen. Trotz riesiger Datenmengen wird die Personalisierung in vielen Fällen kaum umgesetzt.
Auch die Art und Weise, wie Daten gesammelt werden, sorgt für Unbehagen. Viele Kunden empfinden die Datensammlung als unangemessen, weshalb Adblocker weit verbreitet sind. Apple hat seine Datenschutzrichtlinien verschärft und löscht selbst „zugestimmte“ Cookies alle zwei Wochen automatisch. Google hingegen verschiebt die Ablösung von 3rd-Party-Cookies, weil das zugrunde liegende Datensammel-Ökosystem noch nicht bereit ist, diese Datenquelle aufzugeben.
Daten nutzen oder Münze werfen?
Eine Studie zur Effizienz der Nutzung von Daten zeigte, dass 3rd-Party-Datenbroker in der Praxis wenig nützen. In einer Studie über die Erreichung des „richtigen“ Kunden stellte sich heraus, dass nur 14,3 % der IT-Entscheider korrekt angesprochen wurden, wenn auf 3rd-Party-Daten zurückgegriffen wurde. Eine noch schlechtere Quote ergab sich, wenn nach Senior-IT-Entscheidern gesucht wurde – nur 7,5 % waren tatsächlich korrekt.
Sogar das Geschlecht war nur in 42,3% der Fälle korrekt. Selbst ein Münzwurf ist präziser als das. - Dies zeigt, dass die Nutzung von 3rd-Party-Daten keine zuverlässige Methode ist, um die richtigen Kunden zu erreichen. Dieser Kaiser ist völlig nackt.
Was lässt sich aus Daten ablesen?
Was kann man aus Daten wie der Anzahl an Sekunden, in denen ein Video angesehen wurde, oder der Anzahl an Likes zu einem Post ablesen? Engagement misst letztlich nur den „Erregungsgrad“, nicht jedoch die Ursache für die Interaktion. Ein hoher Klick- oder Like-Wert bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Inhalt von hoher Qualität oder für den Nutzer relevant war. Um tatsächlich tiefere Erkenntnisse zu gewinnen, muss man Ursache und Wirkung richtig zuordnen. KI kann Korrelationen erkennen, aber sie kann keine Kausalität bestimmen. Das ist nur mit Domänenwissen möglich, das die KI nicht hat. Sie ist gut im Finden von Mustern, aber der Mensch muss die Interpretation vornehmen.
„KI ist nicht nur ein Werkzeug für die Automatisierung, sondern ein leistungsfähiges System, das in der Lage ist, aus großen Datenmengen Muster zu erkennen und diese Erkenntnisse in Bereichen wie Personalisierung und Produktsuche praktisch anzuwenden.“
Sven Henckel
KI zu verstehen heißt KI besser anzuwenden
Künstliche Intelligenz bietet eine enorme Chance, wenn man ihre Grenzen und Möglichkeiten versteht. Unternehmen sollten sich fragen: Welche Use Cases gibt es in der eigenen Organisation? Wo kann KI Einsichten liefern, die auf andere Weise nicht zugänglich wären? Und ist die bessere Performance tatsächlich nützlich und wirtschaftlich, oder ist der höhere Aufwand nicht gerechtfertigt? Gerade dieser Aspekt wird im Zuge von Hype und FOMO oft übersehen. Wer KI versteht, kann sie effektiv einsetzen und die vielfältigen Chancen ausschöpfen.
Lass dir KI nicht ausreden. Teste sie mit einem Piloten oder einem Proof of Concept. Rechne deinen Business Case durch, lass dich beraten, und mach dich auf den Weg, am besten mit einem Partner auf Augenhöhe. Wir wüssten da wen…
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