Schon wieder Innovation? Ich kann nicht mehr.

Simea Merki

Wenn wir aufs letzte Jahrhundert zurückschauen, wird klar, Innovation hat unser Leben komplett auf den Kopf gestellt. Vom Kugelschreiber übers Handy, bis zur Künstlichen Intelligenz. Innovation ist überall, das ist unbestritten. Und sie ist auch in Publishing und Kommunikation. Was wäre die Publishing-Branche zum Beispiel ohne die Erfindung des Handys?

Innovation ist nicht nur überall, sondern auch das, was Firmen am Leben erhält. Ein trauriges Beispiel dafür ist Kodak. Obwohl das Unternehmen die erste Digitalkamera der Welt entwickelte, war die Firma so sehr auf den Erfolg des Fotofilms konzentriert, dass sie die digitale Revolution verpasste. Das Unternehmen meldete 2012 Konkurs an. Zum Glück gibt es auch gute Beispiele! Mein persönliches Lieblingsbeispiel ist Play-Doh. Ursprünglich eine Reinigungsmasse, mit der sich Kohlerückstände von Tapeten entfernen liessen. Als in den 1950er Jahren Öl- und Gasöfen immer beliebter wurden, sank die Nachfrage nach dem Produkt, und die Hersteller überlegten, das Geschäft aufzugeben. Die Eigentümer hörten von einer Lehrerin, die die Knete im Kunstunterricht in ihrer Heimatstadt Cincinnati verwendete. Nachdem sie das Potenzial eines Produkts für Kinder erkannt hatten, stellten sie schnell auf ein bunteres Produkt um.

Ende der 1950er Jahre wurde Play-Doh zu einem Spielzeug, das landesweit in Geschäften erhältlich war. Heute befindet sich Play-Doh im Besitz von Hasbro, und es wurden mehr als zwei Milliarden Dosen des Produkts verkauft. Eine schöne, wahre Geschichte von Innovation.

Innovation hält also Firmen am Leben. Aber wie werden und bleiben Firmen innovativ?

Ich habe versucht, verschiedene Firmen anzuschauen und mich inspirieren zu lassen. Dabei ist mir aufgefallen, dass viele innovative Firmen und Personen sich vier Gesichtspunkte teilen. Natürlich ist das keine vollständige Liste, sondern reine Denkanstösse.

F wie Feuer

Feuer liesse sich auch übersetzen mit Leidenschaft. Wer neue Ideen will, muss Personen haben, die für ein Thema brennen. Meine These: Innovation lässt sich nicht auslagern. Es braucht, an der Basis, Leidenschaft und unternehmerisches Denken. Die Personen, die sich auch inhaltlich mit dem Thema auskennen, haben eigentlich gute Voraussetzungen für technische Innovationen. Daher lieber keine Innovationsabteilungen schaffen, sondern die Mitarbeitenden kulturell einbinden.

Ein Konzept, das dabei gerne genannt wird, ist „Culture Fit over Skills Fit“. Es geht also darum, Personen nicht basierend auf ihren Fähigkeiten, sondern auf ihrem Charakter auszuwählen. Denn; Fähigkeiten (sogenannte Hard Skills) kann man lernen und schulen. Das ist bei grundlegenden Charakterzügen kaum möglich. Wer Glück hat und solche „Culture Fit“-Personen bereits im Team oder in der Abteilung hat, soll dies auch nutzen. Man spricht dabei von kulturellen Leistungsträgern. Diese Personen sollte man nicht aus ihrem Umfeld entfernen und eine „kreative Aufgabe“ geben, denn das kann das Feuer töten. Es ist besser, diese Personen im Team zu belassen, ihre charakterliche Stärke zu loben und ihnen zu erlauben, die Kultur zu prägen.

F wie Frische

Ja, das klingt so einfach: Frisch bleiben. Das ist aber in meinem persönlichen Alltag eine der schwierigsten Aufgaben. Und doch so wichtig, denn: Kultur prägen und neue Ideen generieren ist anstrengend. Es ist also erforderlich, dass man auf die eigene Frische und auch auf die der Teammitglieder achtet.

Dabei sind mir zwei Punkte besonders wichtig:

  • ganzheitliche Gesundheit
  • psychologische Sicherheit

Firmen wie Adobe und LinkedIn haben schon längst sogenannte „Wellness“-Days eingeführt, welche den Mitarbeitenden helfen sollen, eine bessere Entspannung und psychische Gesundheit zu erhalten. Aber auch wenn man keine solchen Tage als Firma forciert; ganzheitliche Gesundheit ist wichtig. Wer sich nicht fit fühlt, ob körperlich oder psychisch, und trotzdem den Arbeitsdruck spürt, Deadlines einhalten muss und im besten Fall auch noch innovative Ideen bringen sollte, geht auf dem Zahnfleisch. Und das ist auf Dauer extrem ungesund und deshalb auch schädlich für das ganze Ökosystem einer Firma.

Wichtig ist aber auch, dass es in den Teams keinen Performance-Druck gibt. Denn oft sind es genau die Fehler und die Fragen, die neue Ideen zünden können. Es gibt dazu eine spannende Studie von Google re:work, die ergeben hat, dass Teams mit einer guten psychologischen Sicherheit deutlich besser performen als Teams, die das nicht kultivieren. Dieser Faktor war wichtiger als Bildungsgrad, Durchmischung, und Hierarchie-Verteilung. Psychologische Sicherheit meint, dass ich eine „dumme“ Idee bringen kann und dafür nicht ausgelacht, oder an den Pranger gestellt werde. Ich darf Fragen stellen, ohne als inkompetent bezeichnet zu werden. Wer also diese Kultur in seinem Team fördert, fördert schlussendlich Innovation. Und das sage nicht nur ich, sondern diverse Studien und Verhaltensforschungen.

F wie Freiheit

Um innovativ zu sein, müssen wir bestehendes hinterfragen. Und das können wir Menschen leider nicht so gut. Wir mögen feste Rahmen. Rahmen legen fest, wer was tun soll. Also klare Zuweisungen von Rollen, Zwecken und bei Personen natürlich auch gewisse Verhaltensmuster. Wir haben Rahmen für Pro­dukte, für Menschen in unserem Umfeld und auch für uns selber.

Solche „Rahmen“, also Erwartungshaltungen, werden in unserem Gehirn ähnlich gespeichert wie Emotionen und Werthaltungen. Sie sind also aufgeladen mit Gefühlen. Wenn jemand meinen  Rahmen bricht, eine Idee bringt, die so nicht in meinen Rahmen passt, dann ist das hochemotional. Und wer sich dem bewusst ist, ist eine gute Führungsperson für Innovation. Wir sollten Mitarbeitenden explizit erlauben, Rahmen zu brechen. Die Gefühle, die das bei uns auslöst, sind unser Problem, nicht das der anderen Personen.

Es gibt aber, abgesehen von der Freiheit von Rahmen in unserem Kopf auch noch eine zweite wichtige Freiheit: Die Freiheit von festen Abläufen und zu langen Konzept-Phasen. Um das zu erklären, finde ich ein Experiment besonders spannend:

Das Marshmallow-Experiment
Jedes Team erhält 20 Spaghetti, einen Meter Schnur, Klebebandstreifen und ein einzelnes Marshmallow. Sie haben 18 Minuten Zeit, um eine frei stehende Struktur zu bauen, auf der das Marshmallow ganz oben aufliegt. Dieses Experiment wurde mit verschiedenen Berufs- und Altersgruppen gemacht:

Marshmallow-Experiment April 2010

Am besten schliessen Architekten ab. Im Mittelfeld sind die Kindergartenkinder. Schlusslicht sind die Betriebswirtschafter. Aber warum sind sogar Kindergartenkinder bei diesem Versuch besser als die Betriebswirtschafter, die sich doch eigentlich Planung von komplexen Projekten gewöhnt sind? Der Unterschied: Kindergartenkinder probieren fünf verschiedene Strukturen aus, bevor Betriebswirtschafter ihre erste fertigstellen. So lernen sie schneller. Die Betriebswirtschafter haben einen einzigen Masterplan, perfekt ausgeplant. Wenn der scheitert, scheitert alles. Wir brauchen also Fehler.

F wie Fehler

Fehler haben in der Innovation eine sehr wichtige Funktion. Sie zeigen uns auf, welche Richtung die Falsche ist. Fehler erlauben uns, es nochmal zu probieren und einen anderen, vielleicht sinnvolleren Weg einzuschlagen. Denn, und das ist das Schwierige an Innovation, wir wissen oft nicht einmal, wo wir denn hin müssen. Das Ziel nicht vor Augen zu haben, sondern es unterwegs herauszufinden, ist die Königsklasse für Innovatoren. Dieser Arbeitsbereich erfordert von uns eine Fehlerbereitschaft. Sonst fahren wir Vollgas in die falsche Richtung:

Es kann also für ein Projekt tödlich sein, wenn man es zu weit im Voraus durchplant. Es ist besser kurzfristig zu planen, schnell auszuprobieren, agil zu bleiben, damit man die so wichtigen Fehler machen kann. Man könnte also sagen; wir müssen schnell scheitern, weil langsam scheitern zu teuer ist.

Prozess des Scheiterns

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