Produkt und Commerce-Strategie
Jonathan Möller
Lieber Horst,
Danke für die Anfrage, die Einleitung zu „Produkt und Commerce-Strategie“ zu schreiben. Das mache ich gerne, schließlich arbeiten wir schon bald 15 Jahre zusammen! Als wir uns kennengelernt haben, hatte Steve Jobs das iPhone gerade erst auf den Markt gebracht – inzwischen schauen 90 % der Menschen alle paar Minuten auf ihr Smartphone. Unglaublich, wie sich die Welt in dieser kurzen Zeit verändert hat!
Heute weiß jede und jeder, dass sich Unternehmen dieser Verhaltensänderung nicht entziehen können und es hat sich eine große, weltweite Industrie entwickelt, die damit ihr Geld verdient. Wir beide Horst, gehören auch dazu. Wir alle wollen den Kunden unserer Kunden ein überraschend einfaches und attraktives Informations- und Einkaufserlebnis ermöglichen – nicht nur auf dem Smartphone, sondern auf allen Kanälen.
Ich beobachte, dass uns das ganz gut gelingt. Das lässt sich auch in Deinen Publikationen nachlesen. Aber eine grundlegendere Herausforderung wird sichtbar: Die Handlungsfähigkeit der Unternehmen. Die vielen Projekte der letzten 15 Jahre brachten und bringen einzeln zwar gute Ergebnisse, funktionieren als größeres Ganzes aber nur sehr langsam und sind zu kostspielig. Die meisten Unternehmen können auch deshalb den Veränderungen im Markt nicht mehr angemessen folgen. Sie haben mehr bedeutungslose Daten als genutzte Informationen, mehr isolierte Systeme als vernetzte Plattformen, mehr zähe Abhängigkeiten als transparente Abläufe, mehr frustrierte Mitarbeitende als mitdenkende Mitgestalter etc. Für das Unternehmen ist das unglaublich schwerfällig und für die Kundinnen uninspirierend.
Wie also kann ein Unternehmen wieder handlungsfähig werden, gerade auch in der Weiterentwicklung von „Produkt und Commerce“? Als Antwort hat der Großteil der Kollegen in der Digitalisierungsindustrie die „Künstliche Intelligenz (KI)“ ausgemacht und preist dieses Wundermittel bei jeder sich bietenden Gelegenheit an. Damit können wir uns einfach die beste Antwort auf jedes Problem geben lassen – ganz wie ein Schachspieler vom Schachcomputer den wirklich allerbesten nächsten Spielzug vorgeschlagen bekommt.
KI ist primär dann gut, wenn die Spielregeln und das Ziel klar sind. Dann übernimmt die KI den nächsten Schritt der Automatisierung. Das ist toll. Aber auch wenn „alles“ automatisiert wäre, ginge es immer noch darum, dass wir wissen, was wir wollen und dass die nicht-automatisierten Dinge tatsächlich getan werden.
Damit sind wir wieder bei der Handlungsfähigkeit des Unternehmens. Denn die Lösung für diese Herausforderung existiert bereits: Es braucht gute Zusammenarbeit. Gute Zusammenarbeit in komplizierten Systemen – ein Unternehmen ist ein kompliziertes System – braucht eine gemeinsame Sprache, damit eine gemeinsame Übersicht und Anpassungsfähigkeit – sprich Handlungsfähigkeit – entstehen kann. Diese Handlungsfähigkeit ist für Unternehmen grundlegend oder gar überlebensnotwendig geworden, um im gesamten Lebenszyklus von Produkten und Kunden relevant zu bleiben.
Anders formuliert: Eine kluge „Produkt und Commerce-Strategie“ ist wichtig und macht erfolgreicher. Sie kann das Unternehmen aber nur so weit bringen, wie die Grundlagen für Handlungsfähigkeit gelegt sind. Handlungsfähigkeit im Umgang mit Daten, mit Systemen, mit Prozessen, mit der Organisation, den Kanälen und in der Interaktion mit den Kunden. Da diese Arbeit viele Menschen betrifft, benötigt das Unternehmen eine gemeinsame Sprache, um vielfältige, teils divergierende Ziele zu verfolgen. Die gemeinsame Sprache ermöglicht dezentrales Verhalten, sprich: schnellere und bewusstere Entscheidungen sowie resilientere Ergebnisse für das Ganze.
Unternehmen entwickeln diese Sprache am besten zuerst in Pilotprojekten, z.B. im Kontext von „Produkt und Commerce“. Diese Projekte sind deshalb besonders gut geeignet, da sie den Umgang mit Daten bis hin zum Kunden erfordern. Von genau solchen Projekten können wir beide, lieber Horst, viele Lieder singen. Schön, dass in diesem Heft auch einige Beispiele dazu erzählt werden.
Danke, Horst für die langjährige und gute Zusammenarbeit und ich freue mich auf noch viele Begegnungen in den kommenden 15 Jahren.
Herzlich, Jonathan