Wie Print das digitale Marketing erobert

Der letzte Tanz für immer oder der beste Tanz aller Zeiten?

Verfolgt man die Berichte verschiedener deutscher Einzelhändler wie OBI oder Rewe, könnte man in Panik geraten: Der Prospekt wird abgeschafft! Raus!

Eine Welle der Aufregung und Massenhysterie. Die Reaktionen in den business-relevanten sozialen Medien auf das Für und Wider des Prospekts stehen der Nachricht über das Ableben der englischen Königin an Aufmerksamkeit in nichts nach.

Ich verhandle seit etwa 20 Jahren Prospekte in meiner Tätigkeit als Einkäuferin und später als Beraterin. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der Einzelhändler OBI, dessen Prospekte ich für Russland verhandelt habe. Im Laufe der Zeit kamen wir zu der Überzeugung, dass es für die Verbraucher von hoher Qualität wäre, wenn neben der „Preis, Bild, Preis, Bild“- Prospektmentalität auch umfassendere Magaloge (eine Mischung aus Magazin und Katalog) erstellt werden könnten. Mit Inspirationen und Informationen, wie man eine Datscha mit Heimwerkertechnik ausstattet oder wie man den Garten drum herum richtig anlegt. Zu diesem Zweck haben wir Gespräche mit Verlagen wie dem Burda Verlag aufgenommen, ob und wie in Kooperation ein Magazin entwickelt werden kann, das redaktionelles Wissen eines Verlages mit Produktinformationen eines Händlers bündelt.

Was ich damit sagen will, ist: Print ist nicht die einstige Massenware Prospekt. Print ist nicht der segmentierte B-2-B-Katalog. Print ist nicht die hochpersonalisierte oder gar programmatisch ausgespielte Direktwerbung. Print bedeutet für Markenartikler, Hersteller und Händler Dutzende von verschiedenen Möglichkeiten, die in der Customer Journey Aufmerksamkeit erregen und zu informationsvertiefenden, verkaufsfördernden Impulsen und letztlich zu umsatzsteigernden Aktionen führen können. Selbst wenn also an einer Stelle ein alter Zopf abgeschnitten wird, wie im Fall des Prospekts, heißt das nicht, dass nicht an einer anderen Stelle der Customer Journey etwas Neues im Zusammenhang mit Print entstehen kann. Der Einzelhändler OBI Deutschland beweist dies mit der Neuentwicklung eines Magazins „Alles machbar“ für die Gartensaison, ebenfalls in Zusammenarbeit mit Burda, mit einer Auflage von über einer Million Exemplaren (Quelle: Burda). Von einigen Unternehmen wurden während der COVID 19 Direktmailings als enger getaktete Maßnahme eingesetzt. Andere Unternehmen haben den Umfang ihrer Kataloge aufgrund von Lieferengpässen bei Waren reduziert.

Print wird digital oder wie Print nach der Pfeife des digitalen Marketingorchesters tanzt

Gartner schildert sehr schön die Herausforderungen, vor denen Marketingverantwortliche (CMOs – Chief Marketing Officers) heute stehen, wenn sie einerseits Marketing-Maßnahmen marktgerecht für digital domestizierte Empfänger orchestrieren (Customer Facing Experience), andererseits im Einklang mit der Digitalisierung für die Unternehmensorganisation integrieren müssen (Organizational Enabler):

Was bedeutet das für Print?

Digitalisierungs-(Organizational) Enabler: Print wird Teil der Digitalstrategie. Der Praxisbericht des Versandhändlers SSI Schäfer Shop bringt es auf den Punkt, nach welcher Pfeife Print tanzen muss:

„Print wird Teil der Digitalstrategie!“ (Quelle: OnetoOne, Ausgabe 01-02/2022)

Punkt! Print muss nahtlos mit digitalen Systemen verbunden sein, damit das digitale Räderwerk im Unternehmen seine Wirkung voll entfalten und automatisiert Print-Touchpoints antriggern kann.

Kundenerlebnis: Print wird schnell, zielgerichtet und messbar
Klares Votum des Pharmaunternehmens B. Braun für den Markt (Quelle: virtual drupa):

„Wir brauchen Print-On-Demand in Echtzeit, individualisierbar entlang der Customer Journey des Kunden und messbar in digitalen Metriken, entsprechend dem Berichtswesen des Unternehmens.“

Das sind also die Voraussetzungen dafür, dass Print auch in Zukunft die Musik im Marketingorchester mitspielen kann. Die Innovationszyklen der digitalen Technologien sind der Taktgeber für die Anpassungsfähigkeit von Print an diese digitalen Regeln. Übrigens stehen wir hier erst am Anfang der großen digitalen Revolution von Print.

Print wird digital oder wie die Grenzen zwischen physischem und digitalem Marketing verschwinden

Ein kurzer Rückblick auf die Ära der Massenaussendung von Katalogen: Vor vielen Jahren haben wir beim deutschen Versandhändler Weltbild, mit monatlichen Katalogaussendungen von über 4 Millionen Exemplaren, die Verkaufsziele und -ergebnisse in Abhängigkeit von der Rastergröße der Produktanzeigen auf der Seite und deren Platzierung im Katalog mit Hilfe von Klebepunkten in Grün, Gelb und Rot akribisch ausgewertet. Nach dem Ampelsystem waren dies die Renner und Penner. Dann kam die Ära der Multi-Channel Kommunikation: es wurde der Online-Store eingeführt, weitere Läden wurden eingerichtet und es musste viel genauer ermittelt werden, woher der Impuls kam und wer den Umsatz einbrachte. Die Customer Journey beginnt und die Notwendigkeit, bei der Schaffung von Brücken korrelierende Metriken zu entwickeln, um physische Maßnahmen in eine gemeinsame Metrik mit digitalen Maßnahmen zu bringen, wird zwingend notwendig. Aus der korrekten Korrelierung von Kennzahlen ergeben sich durchaus Effizienzsteigerungen, wie beispielsweise bei Katalogen: informative Kataloge, die früher viele Seiten umfassten, werden weniger umfangreich, sind besser segmentiert und es werden dadurch bessere Drehungen ermöglicht.

Aber immer wieder sind Touchpoints in einem neuen Kontext zu sehen, wenn es darum geht, Grenzen zu überwinden: Gegenwärtig wird der Katalog wieder verstärkt als Einstieg in die Customer Journey gehandelt, verknüpft mit QR-Codes oder anderen Tools, um eine Verbindung zum Internet herzustellen. Untersuchungen der Royal Mail zeigten, dass 49 % der Personen, die einen gedruckten Katalog erhalten, die Website der Marke besuchen, 40 % einen Kauf tätigen und 52 % mehr kaufen als sie ursprünglich beabsichtigt hatten. Oder, von online zu offline gedacht, bringt die personalisierte Postkarte, die programmatisch Daten aus dem Online-Shop verarbeitet und mit Gutscheincodes die Empfänger zu einem erneuten Einkauf motiviert, eine erhöhte Konversionsrate. Der Marketing-Mix einer Baumarktkette sorgte für eine stetige Lead-Generierung durch den Mix aus Pay-per-Click und Social Media. Die anschließende Versendung einer Direktwerbung hatte einen erheblichen weiteren Einfluss auf die Lead-Generierung - der Anstieg von 113 % war dramatisch und direkt auf die Direktwerbung zurückzuführen (Quelle: Sappi). Es gibt viele Ansätze, den Medienbruch zwischen der physischen und der digitalen Welt zu überwinden und die Response-Ketten in der Customer Journey zu verfolgen oder begleitende Maßnahmen in der Werbeauslieferung zu messen

Print erobert das digitale Marketing oder wie die Vorteile aus zwei Welten zum Erfolg führen

Für Zahlenfetischisten gibt es noch viel mehr Beweise für die Wirksamkeit von Print im digitalen Marketingorchester. Aber es geht nicht darum, wer besser ist, sondern darum, das optimale Kundenerlebnis zu erreichen. Dabei spielt das Zusammenspiel von Print und Digital eine große Rolle, um gemeinsam erfolgreicher zu sein, als es die einzelnen Kanäle sind (Multiplikatoreffekt). Praxisbeispiele zeigen, dass Kampagnen, bei denen Online- und Printmedien kombiniert wurden, einen um bis zu 50 % höheren Geschäftserfolg hatten gegenüber Einzel-Kampagnen.

Was ist das Geheimnis des Marketingerfolgs von Print und Digital?

Print und Digital werden oft als zwei verschiedene Welten behandelt, wie Feuer und Wasser. Tatsache ist, dass Print und Digital eigentlich die gleiche Grundlage haben: Es geht um Daten und um Inhalte. Das Erlebnis wird unterschiedlich gehandelt. Print hat die besten Chancen, die digitale Welt mit identischen Möglichkeiten zu erobern. Denn Gleiches zieht Gleiches an. Und Gegensätze ziehen sich an: Die digitale Welt mit ihren kognitiven Eigenschaften und Print, welches die Sinne und Emotionen anspricht, sind wiederum komplementär, d.h. sie ergänzen sich gut. Beziehungstechnisch formuliert: die Basis stimmt also.

Die Stärken des Digitalen, wie Unmittelbarkeit, Personalisierung und Einsatz von Audio und Video, und die Welt des Drucks mit seiner Anpassungsfähigkeit, seinem größeren Format, seiner Reichweite, Mobilität, seiner Haptik und seiner Emotionalität lassen sich perfekt mit einer Strategie kombinieren. Wo digitales Marketing in der Skalierung teuer wird oder rechtliche Regelungen einen Strich durch die Rechnung machen, kann Print um ein Vielfaches skalieren und umgekehrt. Mit der sekundären Nutzung von Daten und Inhalten ist Print zudem eine kosteneffiziente Erweiterung der digitalen Marketinglandschaft in den Unternehmen. Mit Dutzenden von Möglichkeiten entlang der Customer Journey kann das Kundenerlebnis verbessert werden, da die Print-Touchpoints Kunden und Verbraucher dort erreichen, wo sie gerade sind. Die Kombination der Eigenschaften von Print und Digital verspricht von daher eine reichhaltige und lebendige Beziehung - mal nah, mal fern, mal online, mal offline.

Hat Print jetzt das digitale Marketing erobert? Ist es der letzte Tanz für immer oder der beste Tanz aller Zeiten? Ich denke, die Antwort ist klar genug: es wird zum Traumpaar! Es geht bei Print aber auch um mehr als um die zahlen- und datengetriebenen Gesetze des digitalen Marketings. Ich folge dem Lied der Beatles: All you need is love. Nutzen wir Print, um die Liebe zurück in die Customer Journey zu bringen - und tanzen wir gemeinsam.

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